01.07.2017

Buchempfehlung: "2017 Jahrbuch rechte Gewalt: Chronik des Hasses" von Andrea Röpke



274 Seiten


»Die Journalistin mit den meisten FEINDEN in Deutschland: ANDREA RÖPKE hat sich in der Nazi-Szene viele Feinde gemacht. Sie wurde angepöbelt, von RECHTEN zusammengeschlagen und auf die TODESLISTE gesetzt.« SWR


Beschreibung bei Amazon:

Der rechte Mob macht mobil. Und Rechtsradikalismus ist heute längst nicht mehr verpönt. Seit Jahren nehmen Gewalttaten durch rechtsextreme Täter bundesweit zu, mit der Zuwanderung Tausender von Flüchtlingen ist sie 2015 geradezu explodiert. Das "Jahrbuch rechte Gewalt" versammelt in einer umfassenden Chronik alle Gewaltverbrechen mit rechtsradikalem Hintergrund, dokumentiert einzelne Fälle und Täter in Reportagen und Porträts, leuchtet Vorgehensweisen, Tätergruppen, lokale Schwerpunkte und Tendenzen in Hintergrundberichten und Analysen aus. Andrea Röpkes aufrüttelnde Chronik über den Rechtsextremismus in Deutschland ist ein konkurrenzloses Desiderat für politisch Interessierte, Besorgte und die wachsende Zahl sich in Flüchtlings-Hilfen und sozialen Projekten engagierende Bürger.



Eine Frau sagt am 19.01 2016 in Saarbrücken zu einer Muslima: "Ich kotze, wenn ich dich sehe, zieh dein Kopftuch aus, du bist hier in meinem Land". Dann gibt es einen Faustschlag ins Gesicht. Am 05.05. werfen fünf bis sieben Männer in Halle eine Bierflasche und einen Bierkrug in Richtung einer Kopftuch tragenden Muslima. Kurze Zeit darauf werfen sie einen Stein nach einer weiteren. Der Stein zerstört die Scheibe einer Haltestelle. Der Angreifer ruft: "Jetzt machen die Ausländer auch noch die Scheiben kaputt!" Am 21.05. in Arnsdorf packen vier Mitglieder einer "Bürgerwehr" einen Iraker und fesseln ihn mit Kabelbinder an einen Baum. Die eintreffende Polizei nimmt keine Personalien auf. Später stellt sich heraus, dass der irakische Mann psychisch krank ist und am besagten Tag absolut nichts getan hat.

Gewalt. Nicht nur von verbaler Gewalt samt Morddrohungen, sondern auch von körperlicher Gewalt berichtet dieses Buch. Grausamer Gewalt, die selbst dann oft nicht aufhört, wenn das Opfer bereits am Boden liegt. Gewalt, die sich nicht nur gegen Flüchtlinge, Muslime, Migranten generell, Juden oder Linke richtet, sondern auch oft gegen jeden, der einschreiten und schlichten möchte. Und manchmal reicht es schon, Umweltaktivist zu sein. Oder eine Rollstuhlfahrerin, die auf eine Ruhestörung aufmerksam machen möchte (da wird man auch schon mal wie am 19.06.2016 in Gorleben als "Judensau" beschimpft und getreten - es wurde außerdem versucht, den Rollstuhl umzukippen). Oder aber man ist ein Politiker, der sich für Flüchtlinge einsetzt (Henriette Reker oder der Bürgermeister von Oersdorf, der am 30.09.2016 mit einem Knüppel niedergeschlagen wurde). Oder aber man ist jemand, der beobachtet, wie jemand einen Verkehrsspiegel abzureißen versucht und sich entschließt, zum Aufhören aufzufordern wie Peter Clemens, welcher am 16. Juli 2015 in Atzendorf von Nazis (erkennbar durch Nazi-Parolen) bewusstlos geschlagen wurde.

Das Buch berichtet von Lügen. Ein Nazi rechtfertigt sein Eindringen in eine Flüchtlingsunterkunft damit, dass er sich für die Vergewaltigung einer 13-jährigen rächen wolle. Laut der Polizei war diese komplett erfunden. Dann verfolgen 6 Kinder einen Flüchtling und bedrohen ihn mit Stöcken und einem Messer. Und behaupten dann bei der Polizei, der junge Mann habe sie "unsittlich" berührt. Die Auswertung der Handys der Kinder widerlegt die Aussage. Am 06.06. attackierte ein 36-Jähriger einen Iraker mit der Begründung, der Mann habe ein 14-jähriges Mädchen belästigt und angefasst. Doch das Mädchen bestätigt das nicht.


Nazis sind außerdem oft bewaffnet mit Schreckschusspistolen, Messern, Gläsern und Flaschen, Holzstöcken Beilen, Äxten, (Teleskop-)Schlagstöcken, Schlagringen, Molotowcocktails - und meistens mit ihren Fäusten. Was oft ausreicht, um großen Schaden anzurichten und das Leben Unschuldiger zu gefährden. Diese Gewalt hat nicht nur psychische Spuren.

Opfer von Nazis erleiden

- Schädelhirntraumata
- Kopfplatzwunden
- gebrochene Knochen (z. B. Beinbrüche durch Polizisten oder schwere Gesichtsknochenbrüche durch Jugendliche, die mehrfache Operationen notwendig machen)
- lebensgefährliche (das T-Shirt mit Blut vollsaugenden) Stichwunden durch Messerattacken
- Atemwegsbeschwerden durch Reizgas
- Rauchgasvergiftungen durch das Anzünden eines Kinderbetts
- Verletzungen durch herumfliegende Glassplitter, wenn ein Nazi mal eben nachts Steine in ein Zimmer wirft, in dem eine Frau mit einem Baby schläft (manchmal landen Steine offenbar auch direkt im Bett von Vierjährigen, warum auch nicht)
- Hämatome am ganzen Körper
- verlorene Schneidezähne
- Schulterfraktur (wenn Nazis einen verletzt im Gleisbett liegen lassen und der herannahende Zug einen - glücklicherweise "nur" - an der Schulter verletzt)
- offene Wunden en masse
- Hautunterblutungen
- Abschürfungen
- Prellungen
- Nasenbrüche (wie eine Kopftuchtragende am 03.07.2016 in Kiel)
- Bisswunden
- was auch immer man vom Würgen (bis zum Blau-Anlaufen) für Verletzungen bekommt
- Knalltraumata
- Fleischwunden (z. B. am Unterschenkel)
- Kieferbrüche

Im Gerichtssaal sind die Opfer oft Provokationen ausgesetzt. Von Reue gibt es bei den Nazis keine Spur.

Die Projektkoordinatorin Christine Büttner der Thüringer Opferberatung "ezra" sagt: "Wir haben es längst mit rechtem Terror zu tun".

Das Buch enthält auch Berichte über Antisemitismus (, den niemanden interessiert, wenn er nicht von Muslimen begangen wird). Verwüstungen von jüdischen Friedhöfen mussten allerdings (unter anderem) aussortiert werden, da sie den Rahmen des Buches überstiegen hätten (Einleitung).

Auf Seite 173 erfahren wir, dass im laufenden Jahr 2016 750 Straftaten gegen Asylunterkünfte verübt wurden, davon 58 Brandstiftungen. In vier Fällen gab es Sprengstoffexplosionen.

Angriffe gegen Moscheen gab es auch zuhauf. Am 26.09. in Dresden detonierten Unbekannte 2 Sprengsätze. "Der erste explodiert vor einer Moschee, in der sich ein Geistlicher, seine Frau und seine zwei Kinder aufhalten. Der zweite auf der Terrasse des Internationalen Congress Centers (ICC), wo in wenigen Tagen ein Empfang des Bundespräsidenten zum Tag der Deutschen Einheit stattfinden soll. Die Polizei geht von einem 'fremdenfeindlichen' Motiv aus" (S. 272 und 273).

Zitiert wird auch die Innenexpertin der Linksfraktion Martina Renner: "Der Generalbundesanwalt hat in mehreren Fällen, bei denen Neonazis in den letzten zwei Jahren Waffen gehortet und Sprengstoffanschläge geplant hatten, die Ermittlungen nicht übernommen und wollte darin keine rechtsterroristischen Ansätze erkennen. Es gibt Dutzende Gruppen, die wie 'OSS' ["Oldschool Society] offen zu Gewalt gegen Flüchtlinge und politische Gegner aufrufen und entsprechend auch handeln." - https://publikative.org/2015/05/06/oss-nsu-gba-neonazis/

Passend dazu wird noch einmal das erwähnt, was eigentlich schon jeder wusste: die NSU-Terroristen waren nicht isoliert, sondern hatten Verbündete: "Das Gefängnis-Fanzine Der weisse Wolf veröffentlichte im Vorwort der Ausgabe von 2002 jenen folgenschweren Gruß: 'Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen ;-) Der Kampf geht weiter ...' Ein Satz, der Mitwissertum andeutet." (S. 185)

Der Terroranschlag von München (hoppla, ich meine natürlich "Amoklauf" - https://de.wikipedia.org/wiki/Amoklauf_in_M%C3%BCnchen) fehlt natürlich auch nicht, genauso wenig wie der Mordversuch an Henriette Reker, die seitdem traumatisiert ist und Alpträume hat, in denen sie immer wieder aufs neue dem Tod ins Gesicht schaut.

Rechter Terror - wer hat Schuld? Rechte Terroristen, oder? Die, die den Terror verüben? Wer sonst? - Nein, falsch. Alexander Gauland sagte nach dieser Brandstiftung: klick folgendes: "Die Verantwortung für solche Taten haben die gesamte Gesellschaft und in erster Linie die Politiker der Altparteien, die zur jetzigen Eskalation der Flüchtlingsproblematik beigetragen haben".

Wenn das Buch von Bürgerwehren berichtet, komme ich persönlich nicht umhin, mich zu fragen, wo da eigentlich der Aufschrei über die Selbstjustiz ist, die es ja angeblich in "muslimischen Parallelgesellschaften" gäbe Buchempfehlung: "Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht." von Anis Mohamed Youssef Ferchichi & Marcus Staiger (mit generellen Infos im Artikel). (Aber bei "Schiedsrichtern" bei Nachbarschaftsstreits interessiert es ja auch nicht...) Ich bin strikt gegen Selbstjustiz und ein Ignorieren der Staatsgewalt - vor allem dann, wenn sie nicht so gewalttätig und korrupt ist wie in manchen Teilen der Erde. Ich bin schockiert, wenn ich auf Seite 249 dieses Buches lese: "In den neunziger Jahren hatten Neonazis offensiv die Schaffung national befreiter Zonen propagiert, in denen 'wir das Sagen haben und wir bestimmen, was Recht ist'".

Der Bericht über den Flüchtling Kamal S., der am Abend des 11. Mai 2016 in Frankfurt an der Oder von Nazis krankenhausreif geschlagen wurde, veranschaulichte mir wieder einmal, dass die Opfer alles keine bloßen Zahlen und Statistiken sind, sondern Menschen - Menschen, die jetzt gegen ihre Traumata kämpfen müssen.


Das alles sind nur Bruchstücke von dem, was man in diesem Buch erfährt, denn es gäbe da noch:


NAZIS - VERSUCHTER MORD - SALZHEMMENDORF




ES IST MIT TÖTUNGSDELIKTEN ZU RECHNEN:




NAZIS - FÜNFJÄHRIGES KIND - BLUTERGUSS - KRANKENHAUS:



Zu guter Letzt noch einen Link zu einer tollen Seite:

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