Ich kämpfe mich gerade aus einer immensen Glaubenskrise heraus.
Der Grund für die Glaubenskrise? Die letzten Jahre war ich massiv psychisch erkrankt, weil ich viele traumatische Dinge erleben musste.
Wie in meinem letzten Blog-Post erkennbar (KLICK), hatte ich daraufhin viele Probleme mit meiner Angst, dass etwas Schlimmes passieren könnte. Aufgrund der islamischen Glaubenslehre, dass nichts geschieht, ohne dass Allah es zulässt, hat sich daraufhin Misstrauen Allah gegenüber entwickelt. Und das wiederum führte zu unfassbaren Schuldgefühlen.
Ich fühlte mich wie ein Heuchler. Denn ist es nicht so, dass jeder weiß, dass man wahre Gläubige erst in schweren Zeiten erkennen kann? Islam bedeutet Hingabe zu Allah. Unterwerfung Allah gegenüber, weil er uns erschaffen hat und der Vollkommene ist, von dem alles abhängt. Ich dachte mir: "Und jetzt fühle ich Misstrauen ihm gegenüber, nur weil er nicht persönlich zu mir spricht wie zu den Propheten und mir versichert, dass alles gut wird?! Wer denke ich, wer ich bin?" Es ist bezeichnend für unsere menschliche Arroganz, dass wir überhaupt verlangen, dass es den Herrscher des gesamten Universums interessiert, wie es uns geht. Und doch tut er das. Er ist für uns da in Zeiten der Not.
Seine Hilfe besteht nicht immer darin, dass er Schlimmes verhindert. Um es mit dem Titanic-Beispiel zu zeigen: Seine Hilfe kann darin bestehen, dass man nicht allzu sehr leidet, wenn das Schiff sinkt, weil er göttlichen Trost schickt. Nearer my God to thee. Aber: Du darfst nicht verlangen, dass du als gläubige Person automatisch keine schlimmen Gefühle mehr spüren musst.
Aber das Ding ist, das wusste ich rational alles. Atheisten, die Gottes Existenz verleugnen aufgrund des Leids der Welt haben mich noch nie überzeugen können. Und rational wusste ich immer, dass es keinen Widerspruch gibt zwischen der Liebe Gottes zu seinen Dienern und seinem Zulassen, dass Schlimmes geschieht. (KLICK)
Aber in dieser Zeit des Schmerzes reichte es nicht aus, dass ich das alles kognitiv verstand. Denn ich war psychisch krank. Und so wurde ich geplagt von Einflüsterungen, für welche ich mich sehr schämte. Einmal bekam eine mir nahestehende Person eine Hirnhautentzündung, und ich begann, begeistert herumzuerzählen, wie dankbar ich für die Erfindung von Antibiotika war, welche immerhin nicht so lange her ist. Daraufhin bekam ich einmal einen Anruf, dass es der betroffenen Person schlechter ging (aktuell komplett geheilt, alhamdulillah), und sofort kam ein schlimmer Gedanke: das hat Allah jetzt gemacht, um mich zu bestrafen, weil ich bei meiner Lobrede auf das Penicillin nicht erwähnt habe, dass es natürlich Allah ist, der uns heilt. Dieser Gedanke ist natürlich absoluter Schwachsinn gewesen, zumal Allah weiß, dass ich es weiß. Alles Gute kommt von Allah, somit auch medizinischer Fortschritt.
Wenn man - etwa wegen solchen Gedanken - ein schlechtes Gewissen Allah gegenüber hat, dann geht man ihm aus dem Weg. Und das ist das Hauptproblem. So wie du nicht nach Hause gehen willst, wenn du eine 6 in Mathe bekommen hast. Selbst wenn du weißt, dass deine Eltern dich nicht verprügeln. Sie werden enttäuscht sein. Du möchtest ihnen einfach aus dem Weg gehen.
Aus diesem Grund ist es unfassbar wichtig, dass man auch als schwerer Sünder niemals aufhört, zu beten. Man ist dann kein Heuchler. Das Gebet ist nämlich immer eine Pflicht, unabhängig davon, wie gut man sonst ist.
Das wusste ich alles auch zu dieser schweren Zeit. Aber es reichte nicht aus, um magisch geheilt zu sein von meiner Erkrankung. Es ist unfassbar wichtig, sich daran zu erinnern, dass Allah durch verschiedene Wege heilt. Wenn ich eine körperliche oder psychische Erkrankung habe, dann heilt Allah auch durch Menschen, die einen behandeln oder therapieren. Gerade beim Thema psychische Erkrankung ist es immer wieder wichtig, den Muslimen zu vermitteln, dass man sich behandeln lassen muss und dass es nicht die eigene Schuld ist, dass man krank ist. Viele sind kulturell leider falsch geprägt.
Eine Depression oder Angststörung ist kein Zeichen eines schwachen Glaubens, genauso wenig wie ein gebrochener Knochen dies ist. Wenn man dein Gehirn scannt, kann man die Depression am Scan erkennen.
Und rational wusste ich auch das zu dieser Zeit. Aber ich habe nie daran gedacht, wenn es mich persönlich betrifft. Was mich betraf, so dachte ich, dass ich wohl der schlimmste Heuchler aller Zeiten sein muss. An meinen Wänden im Haus hängen hübsche Bilder. Eine kleine Auswahl:
Mehr als einmal habe ich über meine Glaubenskrise nachgedacht, während ich diese Bilder betrachtete. Ich dachte mir: "Wenn du in Zeiten der Not verzweifelst, dann hast du den Spruch 'Was vor dir liegt wird niemals größer sein als Gott, der hinter dir steht' nicht verinnerlicht. Dann ist das nur Deko. Dann bist du vergleichbar mit einer Frau, die eine Buddha-Figur in den Garten stellt und dadurch nicht automatisch gläubige Buddhistin ist. Weißt du noch, als du als Neunjährige gerne in die Kirche gegangen warst, obwohl du niemals gläubige Christin warst? Du mochtest die Atmosphäre. Die Musik, den Glockenklang, den Weihrauch, die Kunst, die Bilder an den Fenstern. Es war alles nur oberflächlich. Und jetzt bist du wieder so, denn du hängst diese Bilder an die Wand und bist die erste, die einen hübschen samtigen Gebetsteppich kauft. Religion als Hobby? Oder noch schlimmer: Religion als Selbstdarstellung? Du bist wie jemand, der sich Weltliteratur ins Bücherregal stellt, ohne sie jemals zu lesen."
Kurz gesagt: Das war alles falsch, was ich von mir dachte. Der Grund dafür: Ich ging davon aus, dass man als guter Muslim automatisch nie verzweifelt bei Leid. Und das ist Schwachsinn. Natürlich hätte ich mehr Kontakt zu Allah suchen sollen, um besser durch das Leid gehen zu können. Dass mir dies nicht so gelungen ist, lag an meiner psychischen Erkrankung. Es ist und bleibt eine wichtige Botschaft, die ich hier noch mal betonen muss: Psychische Erkrankungen gehören therapiert. Und so habe ich genau das getan. Ich habe viel Heilung erfahren, aber bin noch lange nicht da, wo ich gerne wäre.
Um aus meiner Glaubenskrise rauszukommen, war es absolut notwendig, mir zu verdeutlichen:
Eine Depression oder Angststörung ist kein Zeichen eines schwachen Glaubens, sondern eine Krankheit, die behandelt gehört.
Und das hat mir geholfen, mich selbst weniger mit Selbstvorwürfen zu quälen. Denn Selbstvorwürfe hindern dich daran, auf Allah zuzugehen.
Allah wartet auf dich.
Solange du noch atmest, ist es nie zu spät.
Jetzt kommt es so rüber, als sei ich ein gesunder und glücklicher Mensch gewesen, bevor die traumatischen Erlebnisse der letzten Jahre kamen. Das stimmt so nicht, und deshalb habe ich natürlich auch erlebt, wie man Trost im Glauben finden kann bei Leid. Tatsächlich sogar sehr großen Trost. Das zeigt klar: Leidend bedeutet nicht gleich psychisch krank.
Natürlich kann man auch als psychisch Kranker Trost bei Allah finden, aber meine Erfahrung hat mir gezeigt: Wenn es schwierig erscheint, dann liegt es an der Krankheit und nicht an deinem Glauben! Das ist sehr wichtig zu wissen.
Es gibt da noch etwas, das wichtig zu wissen ist: Ein Heuchler denkt nicht ängstlich darüber nach, ob er ein Heuchler sein könnte.
Die Tatsache, dass du über deine Beziehung zu Allah nachdenkst, ist Beweis genug, dass du nicht verloren bist.
Siehe auch:
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